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09.10.2025

Herabsenkung der Wesentlichkeitsgrenze: Zu den verfassungsrechtlichen Konsequenzen

Bis zu welchem Zeitpunkt können im Zusammenhang mit der Absenkung der Wesentlichkeitsgrenze des § 17 Einkommensteuergesetz (EStG) Wertzuwächse aus verfassungsrechtlichen Gründen unberücksichtigt bleiben? Und stellen Steuerberatungskosten, die im Zusammenhang mit der Führung eines Rechtsbehelfsverfahrens zur Frage der Steuerpflicht eines Veräußerungsgewinns anfallen, Veräußerungskosten im Sinne des § 17 Absatz 2 Satz 1 EStG dar? Zu diesen Fragen hat nach dem 13. Senat (Urteil vom 12.11.2024, 13 K 196/12) nun auch der 12. Senat des Finanzgerichts (FG) Niedersachsen Stellung genommen.

Im Streitfall hatte der Rechtsvorgänger der Kläger 2002 Anteile in Höhe von über einem Prozent an einer Kapitalgesellschaft gewinnbringend veräußert, nachdem die Wesentlichkeitsgrenze des § 17 EStG mit am 26.10.2000 verkündetem Gesetz mit Wirkung zum 01.01.2002 von zehn auf ein Prozent herabgesenkt worden war. Das Finanzamt hat in Umsetzung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 07.07.2010 (2 BvR 748/05) anhand von Vorjahresverkäufen einen gemeinen Wert der veräußerten Anteile auf den 26.10.2000 ermittelt und diesen anstatt der Anschaffungskosten zur Ermittlung des zu besteuernden Veräußerungsgewinns berücksichtigt, um dadurch vorher entstandene Wertzuwächse von einer Besteuerung auszunehmen. Nach Auffassung der Kläger hätte stattdessen auf den gemeinen Wert zum Wirksamwerden des Gesetzes zum 01.01.2002 abgestellt werden müssen.

Der 12. Senat hat in seiner Entscheidung unter Bezugnahme auf verschiedene Entscheidungen des BVerfG das Finanzamt darin bestätigt, dass es auf den gemeinen Wert der Anteile zum 26.10.2000 abgestellt hat. Das FG hat zudem in der konkreten Konstellation Zweifel daran geäußert, dass eine Freistellung der vor der Gesetzesverkündung entstandenen Wertzuwächse aus verfassungsrechtlichen Gründen überhaupt geboten ist. Das sei vorliegend jedoch nicht entscheidungserheblich gewesen – der Senat sei an einer verbösernden Entscheidung wegen § 96 Absatz 1 Satz 2 Finanzgerichtsordnung ohnehin gehindert gewesen.

Zudem hat der 12. Senat entschieden, dass die im Zuge der Rechtsverfolgung angefallenen Steuerberatungskosten keine Veräußerungskosten in Bezug auf die Veräußerung der Anteile an der Kapitalgesellschaft darstellen. Denn diese seien nicht durch den Veräußerungsvorgang selbst, sondern erst im Streit über dessen Steuerpflicht veranlasst worden.

Das FG hat die Revision zum Bundesfinanzhof zugelassen.

Finanzgericht Niedersachsen, Urteil vom 26.08.2025, 12 K 250/11, nicht rechtskräftig